Tagung „Am Abgrund des Geistes. Friedrich Nietzsche und die Verzweiflung“
Datum: 20.-22. Mai 2022
Ort: Weimar, Festsaal des Goethe-Nationalmuseums
von: Till Heller
Die philosophische Fachtagung „Am Abgrund des Geistes. Friedrich Nietzsche und die Verzweiflung“ fand vom 20. bis zum 22. Mai im Festsaal des Goethe-Nationalmuseums in Weimar
statt und wurde von den Organisator*innen Prof. Dr. Dr. Henrik Holm (Oslo), Dr. Christina Kast (Magdeburg) und Johannes Frank Hoerlin M.A. (Oslo/Passau) in Kooperation mit dem Kolleg
Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar durchgeführt.
Im thematischen Zentrum der Tagung stand der in der philosophischen Forschung bisher vergleichsweise selten behandelte Begriff der ,Verzweiflung’ (nicht nur aber insbesondere) im Werk
Nietzsches, der aus unterschiedlichen Perspektiven und mittels verschiedener methodischer Herangehensweisen im Rahmen dreier Sektionen (I. Biographische Annäherung: Friedrich
Nietzsche – Verzweifelter Mensch und Philosoph, II. Werkimmanente Annäherung: Verzweiflung im Werk Friedrich Nietzsches, III. Verzweiflung und Geist: Philosophische Wiederaneignung eines psychischen Phänomens) von Expert*innen beleuchtet worden ist. Anliegen der Tagung war es, der – expliziten wie impliziten – Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Verzweiflung im Leben und Denken Nietzsches nachzufragen, um von dort aus eine vertiefte philosophische Reflexion auf das Phänomen der Verzweiflung selbst sowie auf die geistige Verfasstheit des menschlichen Daseins überhaupt anzustoßen. Vor diesem Hintergrund zielte die Konferenz ausdrücklich auch darauf ab, einen Beitrag zur systematischen Neuerschließung des Verzweiflungsphänomens sowie zur denkerischen Wiedergewinnung des Verzweiflungsbegriffs in phänomenologischer Sicht zu leisten. Unter letzterem Gesichtspunkt betrachtet, lassen sich unter den durchweg hochwertigen Beiträgen insbesondere die Vorträge von Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs (Heidelberg) und Dr. Alice Holzhey-Kunz (Zürich) hervorheben, die den phänomenologischen Blick auf das Problem der Verzweiflung schärfen und um eine psychopathologische (Fuchs) sowie eine – an Kierkegaard ebenso wie an Heidegger orientierte – daseinsanalytische Betrachtungsweise (Holzhey-Kunz) erweitern konnten.
In diesem Kontext steht auch mein eigener Vortrag mit dem Titel Das verzweifelte Selbst. Zur Phänomenologie existenzieller Verzweiflung als Grundstimmung (Sektion III), der das relationale
Phänomen der menschlichen Verzweiflung hermeneutisch als welterschließende Stimmung eines leiblichen Selbst befragt, zu dessen exponierter Existenz – so die These, – nicht nur die
ursprüngliche Transzendenz auf die Welt hin im Sinne Heideggers, sondern auch das ,diastatische’ Auseinandertreten zwischen Pathos und Response im Sinne Waldenfels gehört. In der abgründigen Grundstimmung der Verzweiflung offenbart sich dann kein intaktes Selbst- und Weltverhältnis mehr, sondern vielmehr ein Fremdwerden der Erfahrung, in der das affizierte Dasein seine natürliche Selbstverständlichkeit im alltäglichen Vertrautsein mit Welt gerade verliert. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Qualität der Beiträge werden diese in Form eines Sammelbandes publiziert. Die Teilnahme an der Konferenz hat es mir zudem ermöglicht, in den Vortrag eingeflossene Teilergebnisse und Kernthesen meiner Dissertation vorzustellen und mit international anerkannten Expert*innen zu diskutieren. Neben dem ZGS danke ich den Organisator*innen sowie Prof. Dr. Helmuth Heit, der die Tagung im Namen der Klassik Stiftung Weimar eröffnet und um zahlreiche anregende Diskussionsbeiträge bereichert hat.