18. Symposium des Mediävistenverbands e.V. „Schaffen und Nachahmen – Kreative Prozesse im Mittelalter
Datum: 17. - 20. März 2019
Ort: Tübingen
von Nadine Jäger
Das 18. Symposium des Mediävistenverbands e.V. fand unter dem Titel „Schaffen und Nachahmen – Kreative Prozesse im Mittelalter“ vom 17. bis 20. März 2019 an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen statt. In den rund 100 Vorträgen, schwerpunktmäßig aus Theologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und den verschiedenen Philologien, kamen diverse disziplinäre Perspektiven auf das Tagungsthema zur Geltung, das in die drei Themenfelder „Original – Kopie“, „Urbild – Abbild“ und „Entkontextualisierung – Neukontextualisierung“ unterteilt wurde.
Aufgrund der großen Themenvielfalt und des begrenzten Zeitraums wurde die Tagung in insgesamt 33 interdisziplinäre Sektionen unterteilt, von denen jeweils 3−4 zueinander parallel stattfanden. Der Bericht einer einzelnen Verfasserin kann daher nur aus einem begrenzten Spektrum an eigens erlebten Eindrücken schöpfen.
„Original – Kopie“
Dem Themenfeld „Original – Kopie“ widmeten sich 5 der 33 Sektionen, wobei die behandelten Themen von exakten Werkkopien der niederländischen Tafelmalerei über die spezifischen Anforderungen an die Edition eines Skriptoriums bis hin zur Überlieferung des Gregorianischen Chorals reichten. Exemplarisch werden nachfolgend die Sektionen „Das Skriptorium um den Cgm 51 und Cgm 19: Autorschaft – Materialität – Edition“ sowie „Kopieren“ besprochen.
Unter der Leitfrage „Wie ediert man ein Skriptorium?“ näherten sich Martin Baisch (Hamburg), Nina Fahr (Fribourg), Malena Ratzke (Hamburg), Anabel Recker (Göttingen) und Britta Wittchow (Berlin) den vielfältigen Anforderungen an ein innovatives Editionsprojekt: Baisch und Wittchow formulierten am Beispiel der Tristan-Fassung des Cgm 51 das Desiderat, die „Handschrift als Kulturträger“ in den Mittelpunkt einer Edition zu stellen; die avisierten editionsphilologischen Ziele wurden ergänzt durch den Vortrag von Recker, der deren digitale Umsetzung fokussierte. Der Vortrag von Fahr beleuchtete den Parzival-Illustrationszyklus des Cgm 19 als „autonomes Narrativ“ eingehend. Die gebündelte Diskussion der drei Vorträge zeugte von einem regen Interesse an dem Projekt, wobei sich zeigte, dass die gestellte Frage „Wie ediert man ein Skriptorium?“ weiterhin interdisziplinären Austausch (u.a. mit KunsthistorikerInnen) erforderlich machen wird.
Während es sich bei der vorigen Sektion um eine als Einheit konzipierte handelte, wurde die Sektion „Kopieren“ aus Einzelvorschlägen kompiliert. Unter der Leitung von Gabriel Viehhauser (Stuttgart) sprach zunächst Christine Unsinn (Berlin) zu exakten Werkkopien der niederländischen Tafelmalerei. In ihrem Vortrag arbeitete sie anhand von reichem Bildmaterial heraus, wie Original und Kopie bei größtmöglicher Exaktheit überhaupt zu unterscheiden seien, und schließlich, weshalb nach ihrer Einschätzung bei der Erstellung von Werkkopien ein Primat des Inhalts über die Künstlerpersönlichkeit zu erwägen sei. Die beiden folgenden Vorträge widmeten sich germanistischen Perspektiven auf das Thema „Kopieren“: Florian Remele (Bayreuth) schlug vor, in Bezug auf Artusromane des 13. Jahrhunderts die Dichotomie „Original – Kopie“ durch das dynamische Verhältnis von Konvention und (abgewiesener) Alternative zu ersetzen. Anhand seiner Beispiele aus Heinrichs ‚Crône‘ und Strickers ‚Daniel‘ konnte er zeigen, wie konventionelles und alternatives Erzählen gleichermaßen inszeniert werden. Den Abschlusss der Sektion bildete der Beitrag der Verfasserin Nadine Jäger (Wuppertal), der sich der Frage „Wie kopiert man Neidhart?“ widmete: Ich ging davon aus, dass Neidharts Lieder jenseits der für den Minnesang gattungskonstitutiven Intertextualität von einem dichten Netz an wiederkehrenden Motiven und Topoi durchzogen sind, die sich zu einem System verdichten. Mein Ziel war es, exemplarisch aufzuzeigen, wie sich diese Verdichtung zum System mithilfe permanenter Selbstzitate und Selbstverweise vollzieht und inwiefern dieses auf Zirkularität ausgerichtete Verfahren Autorschaftsmarker etabliert. Anhand der Riedegger und der Berliner Handschrift wollte ich zudem anregen, dass das Prinzip der Autorschaftsmarkierung durch zirkuläre Toposverkettung ein handschriftenspezifisches sein könnte. Mit diesen Überlegungen verortete ich mich aufseiten der jüngeren Neidhart-Forschung, deren zentrales Desiderat die Abkehr von der Echtheits-Debatte ist – an ihre Stelle könnte die Frage nach handschriftenbasierten Autorprofilen treten.
„Urbild – Abbild“
Dem Themenfeld „Urbild – Abbild“ widmeten sich lediglich 4 von 33 Sektionen, wobei geistlich-religiöse Themen dominierten (u.a. die beiden von Tagungsorganisator Volker Leppin, Tübingen, mitgestalteten Sektionen zu „Nachahmung in christlicher Frömmigkeit“ und „Jerusalem als monotheistischem Sehnsuchtsort“). Exemplarisch wird hier die Sektion „Perfekte Mimesis – Konzepte, Phantasmen, Szenen“ unter der Leitung von Manfred Kern (Salzburg) besprochen, die eine Brücke zwischen Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft schlug. Zunächst widmete sich Heike Schlie (Salzburg) dem mimetischen Status der Vera Icon, wobei sie praktischerweise auf das Titelbild des Programmflyers zurückgreifen konnte: Sie stellte die Parallelität zwischen Gemachtheit des Kunstwerkes als Ganzem und der Gemachtheit des ikonographisch umgesetzten Antlitz Jesu heraus. Eine gänzlich andere Perspektive auf das Thema brachte der schwungvolle Vortrag von Katharina Zeppezauer-Wachauer (Salzburg) ein: Mithilfe der online frei zugänglichen Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (http://mhdbdb.sbg.ac.at) veranschaulichte sie die rege Nutzung kulinarischer Metaphorik zur Beschreibung weiblicher Körper, wobei sie auf Basis des reichen Materials zeigen konnte, dass etwa die Relation ‚Birne – Brust‘ als verfestigter Topos der spätmittelalterlichen Literatur zu gelten hat. Der abschließende Vortrag des Sektionsleiters Manfred Kern verknüpfte Kunst und Literatur am Beispiel von Tristans Bildersaal im Fragment des Thomas: Der simulacrum-Status der Isolde-Statue zeigt in seiner limitierten Fähigkeit, das Urbild zu ersetzen, dass die Gemachtheit des Abbildes stets präsent gehalten wird. Damit legte der Vortragende ein Beispiel dafür vor, wie mittelalterliche Phantasmen der Mimesis zwischen Natur- und Kulturbild changieren.
„Entkontextualisierung – Neukontextualisierung“
Dem Themenfeld „Entkontextualisierung – Neukontextualisierung“ widmeten sich 24 der 33 Sektionen und damit die deutliche Mehrheit aller Vorträge, wobei im Folgenden in exemplarischer Weise literaturwissenschaftlich orientierte Beiträge besprochen werden. Eine neue Lesart eines Klassikers, des Lindenlieds Walthers von der Vogelweide, nahm Alexandra Becker (Tübingen) vor, die anhand eines close readings subversive Paradiesinszenierungen herausarbeitete. Maximilian Nix (Tübingen) stellte ausgehend von frühmittelalterlichen Traktaten generische Überlegungen zur Verfestigung von Zitaten und dem sukzessiven Verlust der Kontexte an. Dem Thema der sinnstiftenden Kompilation nahm sich u.a. (zeitgleich zur Sektion „Kompilation und Kreativität“) der Vortrag von Claudia Brinker-von der Heyde (Langnau a. A.) an: Sie konnte zeigen, dass die ‚Willehalm‘-Trilogie der Arolser Weltchronik von dem Verfahren des Kompilators geprägt ist, ‚wahre Literatur‘ in ‚wahre Geschichte‘ umzuschreiben. Der Kompilator lässt Vor- und Rückverweise aus, tilgt metanarrative Passagen und nähert sich so den narrativen Verfahren der Geschichtsschreibung an. Der Vortrag von Martin Sebastian Hammer (Wuppertal) widmete sich dem Verhältnis von Nachahmung und Kreativität an den ‚Rändern‘ höfischer Erzähltexte aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Vortragende untersuchte die semantischen Um- und Neubesetzungen im Rahmen des Prologs zum II. Buch des ‚Willehalm von Orlens‘ Rudolfs von Ems, in dessen Kontext Versatzstücke aus Wolframs ‚Parzival‘ und Wirnts ‚Wigalois‘ kunstvoll kombiniert werden, wobei er einen Schwerpunkt auf die Inszenierung des Verhältnisses von Narration und Geschichte legte. Ein Ausblick galt seinem Dissertationsprojekt zu Metalepsen in der höfischen Literatur.
Fazit
Das facettenreiche Thema „Schaffen und Nachahmen“ eröffnete ein reiches Kaleidoskop an disziplinären Einzelbeiträgen, die kaum in einem Fazit zu bündeln sind. Wiederkehrende und themenübergreifende Schwerpunkte stellten Aspekte der material philology und der Nutzung digitaler Möglichkeiten dar. Als äußerst erfreulich ist zudem zu beurteilen, dass eine große Zahl von Beiträgen durch NachwuchswissenschaftlerInnen beigesteuert wurde – die Verfasserin des Berichts hat von dieser nachwuchsfreundlichen Politik der TagungsorganisatorInnen freilich selbst profitieren dürfen. Mir sei daher abschließend ein eher individuell perspektiviertes Fazit gestattet: Die Erfahrung eines Vortrags vor interdisziplinärem, zugleich jedoch medävistischem Publikum hat sich definitiv gelohnt; darüber hinaus konnte ich aus der Diskussion mit FachkollegInnen neue Anreize für meine eigene Forschung gewinnen. Dem ZGS danke ich daher herzlich für die großzügige Unterstützung meiner Konferenzreise.